Is Pink the new „Schwarz-Rot-Gold“?
von Nanja Oedi
In diesem Blogbeitrag tauchen wir in ein Thema ein, das aktuell die Nation, oder zumindest unsere Eltern-Bubble spaltet: Deutschlandfarben – ja oder nein?
Da weht sie im idyllischen Garten meiner Eltern: Friedlich und stolz. Und seit den Europawahlergebnissen von im Juni 2024 auch ein bisschen bedrohlich. Die Deutschlandflagge in schwarz, rot, gold.
In bester Tradition hisst mein Vater sie, um seine Unterstützung für die deutsche Nationalmannschaft zu zeigen. Schon als Kind, spätestens aber seit seiner Studienzeit, als er aus Myanmar nach Deutschland kam, ist er ein riesiger Fußballfan. Ich erinnere mich gut daran, wie wir gebannt die WM- und EM-Spiele vor dem Fernseher verfolgten und die deutschen Fußballgötter wie Jürgen Klinsmann und Oliver Kahn sowie Weltklassespieler wie Mehmet Scholl und Gerald Asamoah anfeuerten. In diesen Momenten fühlten wir uns zweifellos deutsch. Klar, per Staatsbürgerschaft waren wir es sowieso, aber während so einer Fußball-EM hatte ich immer eine Art Safer Space, in dem mein Aussehen oder meine Herkunft keine Rolle spielte, sondern nur, welche Mannschaft ich unterstützte.
Die ersten Risse in diesem Bild der Fußballharmonie zeigten sich, als mein Bruder bei einem Public Viewing rassistisch beleidigt wurde. Obwohl er ein Deutschlandtrikot trug und sich somit als Deutscher oder zumindest Fan der Deutschen zu erkennen gab. Fortan mied er Public Viewing Events – verständlicherweise. An diesem Tag verlor die Fußball-Community nicht nur einen Fan, sondern die deutsche Gesellschaft und Öffentlichkeit ein weiteres Gesicht, das zeigt, wie „bunt“ Deutschland in Wahrheit ist. Ob er nach dieser Erfahrung mit seinen Söhnen jemals wieder zu einem Fußball-Großereignis gehen wird, weiß ich nicht.
Seit den desaströsen Ergebnissen der Europawahl in diesem Jahr fühle ich mich immer öfter an diese Situation erinnert. Immer mehr tolle, weltoffene Menschen aus meinem Umfeld verschwinden aus dem öffentlichen Blickfeld. Nicht, weil sie diskriminiert werden, sondern weil sie sich schämen, Deutsche zu sein. Sie vermeiden es, sich als solche auszugeben, weil sie sich vom rechten Flügel abgrenzen wollen. Ich kann es verstehen, dass sie in einem Land, in dem der Rechtsruck stärker wird, keine offene Zugehörigkeit zeigen wollen, auch wenn sie hier ihre Heimat haben. Gleichzeitig macht mich die Vorstellung traurig, dass zunehmend mehr gute Menschen aus unserem Bewusstsein, aus unseren Fernsehbildern, aus unseren Köpfen verschwinden und sich nun einzig Faschisten und Rechtsextreme das Recht raus nehmen Deutsch zu sein.
Das Tragen der Deutschlandfarben fühlte sich ja schon immer befremdlich an, aber jetzt ist es tabu.
Zum Glück kam die EM genau zum richtigen Zeitpunkt. Man muss kein Fußballfan sein, um zu spüren, wie die Nation plötzlich wieder zusammenrückt. Plötzlich holt uns die Euphorie ein, die nur ein Sportereignis wie die EM in einer selbst ernannten Fußballnation wie Deutschland zu schaffen vermag. Das Besondere: Wir spüren es nicht nur an uns selbst, sondern wir erleben es an unseren Kindern. Wie sehr wir im Zwiespalt sind und uns über das Tragen und Hissen der deutschen Farben streiten, so sehr können wir uns der Begeisterung und den strahlenden Augen unserer Kinder nicht entziehen. Für sie ist es kein politisches Statement, sondern ein riesiger Spaß, ein besonderes Event, ein sportlicher Wettkampf, bei dem sie bis tief in die Nacht aufbleiben und ihren großen Sportidole zujubeln dürfen – die, wie unsere Kinder selbst, zu großem Teil auch eine Migrationsgeschichte in sich tragen. Eine (deutsche) Fußballmannschaft, die unseren Kindern gleicht.
In einem Gespräch vor einigen Wochen mit meiner Gründungspartnerin Pam spürte ich noch, wie wenig es ihr die Vorstellung behagte, dass ihr Sohn ein Deutschlandtrikot trägt. Als Eltern der zweiten Generation spüren wir eine große Verantwortung: Wir wollen unseren Kindern Vorbilder sein, sie vom starren Schubladendenken befreien und ihnen gleichzeitig ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein und Identitätsgefühl vermitteln. Übertriebener Nationalstolz, gleichgültig für welches Land, ist dabei nicht zielführend. Manchmal, das muss ich zugeben, fällt es uns leichter unsere Kinder gänzlich von festen Identitäten zu lösen, statt ihnen eine einzige zuzusprechen.
Heute trägt Pams Sohn, der alle Spieler mit Namen und Position kennt (aus ALLEN teilnehmenden Mannschaften!), nicht schwarz-rot-gold auf der Brust, sondern das pinkfarbene Auswärtstrikot. Und vielleicht ist es genau diese Form des „Re-Brandings“ und „Neupositionierung“ wie wir sie aus dem Marketing kennen, die es braucht, damit Deutschland seine vielfältige Identität wieder selbstbewusst lebt und nach außen trägt. Ich hätte damit kein Problem. Ich bin mir sicher, dass mein Vater sich auch eine pinke Flagge aufhängen würde. Hauptsache wir können die Freude am Spiel genießen und unsere Mannschaft anfeuern. Und vielen würde der Anblick von pink weniger schmerzen. Am Ende geht es beim Fußball schließlich nicht nur alleinig um das „Für Wen“, sondern auch um das „Mit Wem“.
Und meine Tochter?
Sie feuert selbstverständlich die deutsche Nationalmannschaft an. Das pinke Trikot findet sie natürlich wunderbar, aber mehr noch, dass ihre Mama sich bei jedem Tor so freut. Bis heute versteht sie das Konzept der Länder nicht ganz. In ihrer Welt gibt es kein Deutschland, geschweige den Europa, sondern nur ein Berlin. Folglich bezeichnet sie die deutsche Nationalelf schlicht als die „Berlin-Mannschaft“. Ein-, zweimal hatte ich versucht, das aufzuklären (bei aller Fan-Liebe zu unserem Berliner Fußballverein Hertha BSC ist der qualitative Unterschied doch enorm), doch dann fand ich es zu niedlich und faszinierend zugleich, in welchem kleinen Kosmos sich unsere große Welt in ihrem Kinderkopf abspielt. Wir werden noch früh genug über Landesgrenzen, die EU, Identität und Zugehörigkeit sprechen. Deshalb habe ich beschlossen, dass es für diese EM auch vollkommen okay ist, einfach nur Berlinerin zu sein.
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